„Kinder müssen es uns wert sein!“
Die Kinderonkologie in Deutschland ist unterfinanziert – Spender/-innen und Vereine füllen die Lücken
Jährlich erkranken 2.200 Kinder in Deutschland an Krebs. Am Universitätsklinikum Erlangen werden pro Jahr 90 Neudiagnosen gestellt. Durchschnittlich zehn Jahre lang sind die Kinder und Jugendlichen dann in der Kinderonkologie des Uniklinikums in Betreuung – Betroffene aus ganz Mittel- und Oberfranken, der nördlichen Oberpfalz und Südthüringen, vom dreimonatigen Baby bis zum jungen Erwachsenen. Doch: „Die Kinderkrebsmedizin ist unterfinanziert, und zwar nicht nur in Erlangen, sondern bundesweit“, betont Prof. Dr. Markus Metzler, Leiter der Erlanger Kinderonkologie. Als Sprecher des Netzwerks KIONET, einem Zusammenschluss der Kinderkrebsexpertinnen und -experten aller sechs bayerischen Uniklinika, lenkt Markus Metzler jetzt die Aufmerksamkeit stärker auf die Versorgung seiner jungen Patientinnen und Patienten. Unterstützung bekommt er dabei von Klaus Angerstein, dem Vorsitzenden der Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen e. V., und von Leonie Roderus, Sozialpädagogin und Familientherapeutin in der Elterninitiative. Der Verein begleitet krebskranke Kinder und deren Familien und möchte für sie den Klinikalltag und die Rückkehr nach Hause so angenehm wie möglich gestalten.
„Ich bin dankbar für die enge und gute Zusammenarbeit mit der Elterninitiative und für die Spendengelder, die wir über sie zugunsten krebskranker Kinder erhalten“, sagt Prof. Metzler. „Aber oft muss der Verein in eine Lücke springen, die normalerweise Staat und Krankenkassen schließen müssten“, erklärt der Kinderonkologe und ergänzt: „Spenden sind für uns essenziell wichtig, beispielsweise für die Musik- und die Kunsttherapie für unsere Patientinnen und Patienten, für die psychologische Betreuung der Familien und zur Unterstützung finanziell schlecht gestellter Eltern – zum Beispiel, wenn die alleinerziehende Mutter mit krebskrankem Kind über Nacht ihren Job verliert“, zählt Prof. Metzler auf. „Fakt ist aber, dass wir mit der momentanen Vergütung durch die Kostenträger oft nicht einmal die Regelversorgung stemmen können. Spenden sind nicht für die Aufrechterhaltung des medizinischen Standards gedacht, müssen aber immer öfter dafür verwendet werden.“
Zu diesem Standard würde nach Auffassung der Erlanger Elterninitiative auch die psychosoziale Betreuung krebskranker Kinder und Jugendlicher gehören. „Im Zuge einer Krebserkrankung treten beispielsweise oft Ängste oder posttraumatische Belastungsstörungen auf. Gerade die psychologische Erstversorgung von Patientinnen und Patienten ist entscheidend, ist aber in der Regelversorgung leider nicht ausreichend abgedeckt“, bedauert Sozialpädagogin Leonie Roderus. Deshalb müssen die Stellen von Psychologinnen und Psychologen teilweise mit Spenden querfinanziert werden – auch in Erlangen.
Fördervereine wie die Erlanger Elterninitiative erhalten bundesweit insgesamt ca. 27 Millionen Euro Spendengelder pro Jahr; 13 Millionen davon fließen in die Regelversorgung – meist in das oben erwähnte zusätzliche Personal oder in die aufwendige Behandlungsdokumentation. „Das heißt: Die Hälfte des Geldes wird für das verwendet, für das es eigentlich vorgesehen ist. Die andere Hälfte sichert die Basis“, erklärt Prof. Metzler.
Dabei sei die Lücke zwischen Unter- und Standardversorgung nicht so groß, dass man sie nicht schließen könnte, erklärt der Leiter der Erlanger Kinderonkologie. „Ich bin fassungslos über die Gleichgültigkeit, mit der das Defizit von Politik und Gesellschaft hingenommen wird. Dabei wäre das Problem mit verhältnismäßig wenig Geld lösbar. Aber die Kinder und Jugendlichen müssen es uns wert sein. Sie dürfen nicht einem System zum Opfer fallen, in dem sie weniger rentabel sind als die große Zahl therapiebedürftiger Erwachsener“, appelliert Markus Metzler und erklärt damit das Dilemma der derzeitigen Abrechnung über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRGs): „Die DRGs sind ausgelegt auf große Patientenzahlen, kurze Prozesse und möglichst viele technische bzw. automatisierbare Untersuchungen. In der Kinderheilkunde ist aber genau das Gegenteil der Fall: Wir haben wenige, sehr individuelle Patientenfälle, die viel Zeit in Anspruch nehmen und sich nicht standardisieren lassen.“ In den Fallpauschalen sei der zeitliche und personelle Mehraufwand, der bei Kindern anfällt, nicht abgebildet. „Denken Sie an einen lebhaften Fünfjährigen, dem Blut abgenommen werden soll – das ist nicht immer auf die Schnelle machbar“, schildert Prof. Metzler. „Hier braucht es Vertrauen, manchmal gutes Zureden, oft eine neue Herangehensweise – das alles kostet Zeit, und Zeit wird im aktuellen System nicht vergütet.“
Die Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen e. V.
Die Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen, die sich über Spenden und zu einem kleinen Teil auch über Mitgliedsbeiträge finanziert, puffert deshalb oft ab, was laut Prof. Metzler eigentlich die Krankenkassen übernehmen sollten. „Wir wollen uns stattdessen auf unsere Kernaufgaben konzentrieren. Und in die allein sollen auch die Spenden fließen, die wir einwerben“, erklärt Klaus Angerstein, Vorsitzender der Elterninitiative. Neben den körperlichen auch die seelischen Wunden der erkrankten Kinder und ihrer Familien zu behandeln, das ist das Hauptanliegen seines Vereins. So finanziert die Elterninitiative u. a. Übernachtungen in sieben Apartments schräg gegenüber der Kinderonkologie, damit Mama und Papa in der Nähe ihres kranken Kindes wohnen können. Zudem hat der Verein eine Elternküche auf Station ausgestattet, sorgt in den Patientenzimmern für bunte Bettwäsche, kauft Mutperlen zum Auffädeln nach jedem geschafften Therapieschritt, macht Kreativ- und Kunstangebote, richtet Feste aus, organisiert Ausflüge, erfüllt Herzenswünsche und kümmert sich auch um die Geschwisterkinder der Patientinnen und Patienten. „Wir sind dankbar für alle Privatpersonen, Verbände, privaten Initiativen und Firmen, die unsere Arbeit unterstützen und das auch künftig tun“, sagt Klaus Angerstein.
Denn es geht den Verantwortlichen in Erlangen nicht um ein Entweder-oder, sondern um einen Zweiklang: „Wir bitten weiterhin um Spenden. Sie helfen, vor allem die seelischen Narben einer Krebstherapie zu verhindern, und zeigen den Betroffenen, dass sie wertgeschätzt und gesehen werden“, so Leonie Roderus. Prof. Metzler ergänzt: „Aber wir brauchen parallel dazu auch eine sichere Finanzierung der Regelversorgung. Die Aufrechterhaltung des dringend Notwendigen – des medizinischen Standards – mithilfe von privaten Spenden ist untragbar.“ Eine gesicherte Finanzierung hielte der Kinderonkologie vielmehr den Rücken frei, „um bestmöglich zu behandeln und Energie und Zeit in das zu investieren, was die Universitätsmedizin am besten kann: Therapien entwickeln und verbessern und den medizinischen Fortschritt vorantreiben“, so der leitende Kinderonkologe.
Weitere Informationen zur Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen e. V., inklusive Spendenkonto:
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Prof. Dr. Markus Metzler